JOACHIM HUTH

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Joachim Huth

01.11.14

 

DO III 174

Das Staatsarchiv Dresden verwahrt gleich zwei Pergamente, in denen König Otto III. unter dem 6. Oktober 995 dem Bistum Meißen den gesamten Lehn des Grafen Asic/Esico von Merseburg übergab1. Die Urkundtexte sind jedoch ungleich lang. Im Kurztext (A) urkundet der König, dedimus beneficium totum comitis Asic ad episcopatum in civitate Misna2. Dagegen zählt der Langtext die neun Einzelstücke auf, aus denen das Lehn des Grafen bestand. Oft gedruckt, berücksichtigten erst Köhler (1854), Gersdorf (1864), Posse (1882) und von. Sickel (1893)3 beide Textfassungen in ihren Editionen. Letzterer sah im Kurztext (A) das Original und erklärte den anderen (B) als „Nachzeichnung nach A in erweiterter Fassung“. Auch urteilte er, der Schrift nach stamme der Kurztext aus der Feder des vielbeschäftigten Schreibers F des Kanzlers Hildibald (=HF), der längere von anderer, unbekannter Hand, die er nicht als Kanzleiausfertigung anzusehen vermochte4.

Das Urteil des Diplomatikers wurde sofort dahingehend verstanden, die A-Form als echt, den Langtext aber als problematisch zu bewerten. So meinte etwa Bönhoff5, Graf Esico sei 995 gestorben. Von seinem großen Landbesitz seien zunächst nur vier Titel westlich der Saale dem Bistum Meißen zugefallen, das Meiste aber Thiedbern zu Lehn gegeben worden. Erst als der Ritter 1005 nicht vom Polenfeldzug zurückkehrte6, sei Meißen auch in den Besitz der fünf Burgwarde an der unteren Mulde gekommen. Auch Schlesinger sah im Langtext eine Fälschung. Wie schon Bönhoff unterstellt auch er, mit totum beneficium seien im Kurztext lediglich die vier Titel westlich der Saale gemeint7. Damit sei Bischof Eiko I. (992-1015) zufrieden gewesen, nicht aber Eiko II. (um 1040). Für sein Bistum habe er sich zwar von König Heinrich III. (1039-1056) die Muldenburg Püchau schenken lassen8, wollte aber noch mehr. Schlesinger schreibt: „Wir wissen (!), dass hier um diese Zeit eine Nachzeichnung der Urkunde Ottos III. angefertigt wurde, die dem Bistum im Jahre 995 das Lehen des Grafen Esico von Merseburg verliehen hatte“. Hier schmuggelte man nun vor die vier Ortsnamen, die den tatsächlichen Umfang dieses Lehens bezeichneten, die Namen Wurzen, Püchau, Pouch, Ezeriscco und Löbnitz ein. Es wurde damit der Burgward Püchau um den anliegenden Burgwardbezirk Wurzen erweitert und ein weiteres geschlossenes, aus drei Burgwarden bestehendes Gebiet an der unteren Mulde hinzugefügt. Einer jener Bischöfe, von denen wir sonst gar nichts wissen, war also für die Vermehrung des weltlichen Besitzes des Meißner Bistums in allerdings schwer zu billigender Weise außerordentlich tätig: aus einem Burgward machte er fünf. Der Erfolg blieb der Fälschung nicht versagt. Wurzen jedenfalls mit seinem Umlande wurde dauernder Besitz der Meißner Kirche. Nur Pouch wurde „später als Lehen an die Herzöge von Sachsen gegeben“9. Und gerade einen von ihnen, Markgraf Heinrich den Erlauchten (1223/1230-1288) veranlasste 1252 Bischof Konrad (1240-1258), die Nachzeichnung zu transsummieren, durch die er als Landesfürst „den Besitz des Hochstifts nicht nur in und um Wurzen, sondern auch um Pouch (!), Löbnitz und Tiefensee (Ezerisco)“ anerkannte10. So weit Schlesinger.

Während für den Diplomatiker von Sickel die Frage nach der Erstschrift den Vorrang hatte, waren für die Dresdener Archivare die genauen Besitzangaben wichtiger. Sie registrierten den Langtext als Originalurkunde 9 und den A-Text unter Nummer 11. Im Gegensatz zum B-Text gibt es von ihm keine beglaubigten Abschriften, während das politische Gewicht der „Nachzeichnung“ zwei Transsumpte belegen. Die Ältere von 1250 zählt als Originalurkunde 10, und die um wenig jüngere von 1252 als Nummer 50711. Das erste Mal ließ sich Bischof Konrad von Meißen (1240-1258) den Text von Erzbischof Wilbrand von Magdeburg am 16. Februar 1250 bestätigen. Bald danach endete die Stauferzeit in Sachsen, als römische Legaten für einen antistaufischen Kronprätendenten, für Graf Wilhelm von Holland warben. Ein Akt der politisch-diplomatischen Geschäftigkeit war das Insert des Langtextes der Urkunde Ottos III. von 995, für das sich am 22. Mai 1252 Markgraf Heinrich, Erzbischof Wilbrand von Magdeburg und die Bischöfe Heinrich von Merseburg und Dietrich von Meißen verbürgten. Doch damit nicht genug, die Bischöfe Otto von Brandenburg und Heinrich von Havelberg baten auch König Wilhelm, das Insert zu bestätigen. Kardinal Hugo von Sabina erreichte die gleiche Bitte in Assone, wo er ihr am 30. August 1252 entsprach12.

Es war der geniale Gedanke Theodor von Sickels, die Echtheit einer Urkunde nicht aus ihren inneren Merkmalen zu erheben, sondern aus einem der äußeren, der Urkundschrift. Die aus dieser Methode gewonnenen Einsichten wandte er dann auch auf kopiale Texte an und kam dabei zu sehr sicheren Ergebnissen. So ist man bis hin zu Schlesinger dem Urteil des Altmeisters gefolgt und sah im Kurztext des DO III 174A das Original, das von Sickel der Hand des Schreibers HF zugeordnet hatte13, und im Pergament des DO III 174B eine gleichzeitige „Nachzeichnung“. So klar das Urteil auch klingt, es ist wenig hilfreich, da der Meister nicht definierte, was er unter „Nachzeichnung“ verstanden wissen wollte. Da er zudem im Langtext keine Kanzleiausfertigung sah, bedeutete „Nachzeichnung“ etwas Abwertendes, worauf schon die Vorsilbe des Stichwortes hinzuweisen scheint. Von daher verstand auch Schlesinger die B-Fassung als Falsifikat. Was uns heute als DO III 174B vorliegt, kann schon wegen der Textdifferenzen zur A-Form nicht als vorlagen- oder zeilengetreue Nachbildung der Urschrift gewertet werden. Aus technischen Gründen ist auch nicht an Pause, Durchzeichnung oder Durchschrift zu denken. Wahrscheinlich hat von Sickel mit „Nachzeichnung“ etwas Positiveres gemeint als Fälschung, Imitation oder Plagiat, da er selber den Langtext als fast gleichzeitig geschriebenes Pergament ausgab. Eine Möglichkeit, von Sickels Begriff der „Nachzeichnung“ zu verstehen, liegt in seiner Meinung begründet, von allen Akten habe es nur eine Beurkundung gegeben, Tauschurkunden vielleicht ausgenommen. Dann wäre das Stichwort sein stilles Eingeständnis für eine zweite, ebenfalls echte Beglaubigung eines Aktes. Um uns nicht schon im Voraus festzulegen, wird von Sickels Stichwort „Nachzeichnung“ wertfrei verstanden als Zweitexemplar, als gleichberechtigte Parallelausfertigung des Kurztextes - die gleichzeitige Niederschrift beider Fassungen vorausgesetzt.

Solche Diplome, die am gleichen Tage für die gleiche Institution ausgefertigt wurden, aber nach Textmenge und Inhalt differieren, sind gar nicht so selten. So beschenkte Otto I. seine Lieblingsstiftung mit den Zehnten der Civitates Magdeburg, Frohse, Barby und Kalbe. Im Pergament bewidmet er sanctum Mauricium mit dem Slawenzehnt, in der Kopie dotem cripte Magdeburgensis und fügt noch den Zehnt der Deutschen hinzu, klammert aber Halberstädter Zehntrechte aus14.

Weitere zwei Originale in zwei Fassungen vom gleichen Tage gelten dennoch als echt, wenn auch sie nur in der Beschreibung des Geschenks des Königs übereinstimmen. Von Sickel fasste beide so auseinander driftende Texte im Druck dennoch unter einer Nummer zusammen15. Wieder sind es zwei Originalpergamente vom gleichen Tage, in denen Otto II. einen Tausch zwischen Erzmagdeburg und Kloster Fulda bestätigt. In dem einen werden aufgezählt …Cruciburg et Uuestmilinge et Thache­bechi …, im anderen aber heißt es: …Cruciburg totamque Uuestmilingero marcam in omnibus locis et rebus cultis et incultis et Thachebechi16.

Auch Otto III. stellte Parallelurkunden aus. Die Schenkung an das Stift Quedlinburg am Epiphaniastage 992 steht auf zwei textgleichen Pergamenten, die aber nicht in den Zeilen übereinstimmen, und deren Schreiberhände sich durch Kürzungen, Kürzel­gebrauch und weitere Kleinigkeiten unterscheiden17.

Ein Akt Ottos III. für das Kloster Selz ist gleich dreifach original überliefert. Die erste Fassung berichtet, ein Graf Managold habe mit einem Klosterbau zwar begonnen, dann aber das Praedium in die Hände der Kaiserin Adelheid gelegt. Der zweite und der dritte Text erwähnen diese Story nicht, sondern beginnen gleich mit der Dotierung des von Adelheid weitergeführten Baues im Elsaß. Jede Fassung stammt von anderer Hand, und dennoch gelten alle drei als echt18.

Das gilt auch für zwei weitere Pergamente für Selz. Das eine wendet dem Kloster unter anderem zwei, das andere aber drei Kapellen zu - zwei Fassungen, zwei Schreiber und im Druck vereint19. Diese Beobachtungen nötigen zum Stoßseufzer: Wenn es Magdeburg und Selz betrifft, sind die Dopplungen echt, warum aber ist in Meißen eine der Fassungen eine „Nachzeichnung“ ?

Für Schlesinger stand fest, „das Meißner Bistum (habe) eine umfangreiche Fälschertätigkeit entfaltet“. Eines der Produkte sei der Langtext des DO III 174B. Wie anderswo habe man es auch hier verstanden, „durch Nachzeichnung und Interpolation das echte DO III 174 (A) sich weltliche Besitzrechte an Burgwarden an der unteren Mulde zu erwerben“. Wenn er sein Urteil rechtfertigt und schreibt: „erneuter Schriftvergleich ergab unzweifelhaft Nachzeichnung, wobei der Fälscher sich sogar bemühte, seine Vorlage kalligraphisch zu übertreffen“20, muss sich auch der Gegenbeweis auf einen Schriftvergleich gründen.

Tatsächlich ist der B-Text die ansprechendere Ausfertigung, wenn auch keineswegs ein Schönschreiberzeugnis der Kanzlei des dritten Otto. Über die Arbeit an den Kopien21 beider Urkundfassungen kommt man aber sehr schnell zu anderen als den Schlesinger'schen Schlüssen. Wie andere Paralleldiplome22 sich nicht als wort- und zeilengetreue Abschriften präsentieren, so auch unsere Texte nicht.

  KurztextLangtext
Z 2 quomodo - totum quomodo - cuiusdam
Z 3 cuiusdam - vocitata fidelis - iuris
Z 4 cuiusdem - suis Habuerit - praesul
Z 5 hoc est - sexus in praesenti - cultis et
Z 6 molendinis - possunt incultis - quaesitis
Z 7 ei in - potestatem et inquirendis - tradidimus
Z 8 habeant - nunc ea videlicet - monasterii
Z 9 et in - impressione faciendi - impressione
Z10 signare - corroboravimus iussimus - corroboravimus

Zur schreiberbedingten Verteilung des Textes auf die Zeilen tritt in unserem Falle das Mehr an Stoff hinzu, das sich aus der Aufzählung der Einzeltitel des Benefiziums des Grafen Esico ergibt. In der Narratio beider Fassungen erklärt König Otto III., um seines und seiner Eltern Seelenheil willen wie auch auf Bitten Bischof Eids stifte er alles, was Graf Esico als Benefizium genutzt habe, dem heiligen Donatus, dem Patrone des Bistums Meißen. Während es im Kurztext nur heißt: … dedimus beneficium totum …, nennt der Langtext mit Vrscini (Wurzen), Bichni (Püchau), Pauc (Pouch), Eszerisco (Schlesinger: Tiefensee; Huth: Altjeßnitz)23, Liubanisci (Löbnitz / alle an der unteren Mulde gelegen), Herri, Sciammanstedi, Unscia, Potorisci (alle vier westlich der Saale zu suchen) die einzelnen Titel des Geschenkes24. Aber nicht nur durch diese Erweiterung des Textes unterscheiden sich beide Fassungen des D 174 voneinander, sondern auch in der Wortfolge, etwa in der Pertinenzformel25. Meist werden dem neuen Besitzer auch bodengebundene Arbeitskräfte männlichen und weiblichen Geschlechts übergeben: cum mancipiis utriusque sexus. Dieser Passus hat in der sonst fest gefügten Formel keinen festen Platz. In einer Reihe von Urkunden steht er gleich zu Beginn der Zubehörungen: hoc est in manicipiis utriusque sexus, agris26, in anderen steht er im Zusammenhang mit Gebäuden: hoc est areis, aedificiis, mancipiis utriusque sexus, terris27. In beiden Fassungen des D 174 aber stehen sie an keiner dieser typischen Stellen. Im „Originaltext“ ist der Passus ganz offensichtlich zu Ende der fünften Zeile nach piscationibus nachgetragen worden28. Dafür spricht die etwas kleinere, gedrängtere Schrift, das Kürzel für -que und die sonst im Schriftbild nicht zu findende Kürzung der Endung -us: -v- mit verschlungenem Aufstrich. Die „Nachzeichnung“ stellte die Floskel erst zu Ende der Pertinenzformel ein: … inquirendis, mancipiis urtiusque sexus cunctisque aliis appendiciis … . Hierher gehören auch zwei Wortumstellungen in den Texten:
          A:   potestatem habeant disponendi … signare iussimus
          B:   habeant potestatem disponendi … iussimus signare

Hierin Fehler oder Willkür des „Nachzeichners“ zu sehen, ist wohl abwegig. Eher erklärt sich das aus der Routine eines diese Formel gewohnten alten Kanzleischreibers.

Die eben aufgezeigten Varianten beider Fassungen hätte man schon den Drucken entnehmen können. Schlesinger ging noch einen Schritt weiter zum Schriftvergleich. Leider war er schon damit zufrieden, lediglich den Nachzeichnungscharakter des Langtextes festzustellen, ohne das auch zu beweisen29. Hier werden beide Texte im Rahmen einer hinreichenden Menge gleichzeitiger Pergamente untersucht, um ihre Eigenheiten aufzuspüren. Als Kanzleierzeugnisse sind sie als Arbeitsergebnisse vieler zu verstehen. Auf Grund der stilistischen Unterschiede der Schriften kann man nur Gleiches Gleichem gegenüberstellen: die Langschriftzeile anderen Erstzeilen, den Kontext anderen Kontexten, Signum-, Rekognitions- und Datazeilen ihren Pendents. Dankenswerterweise standen mit Kurz- und Langtext 13 Ablichtungen für den Versuch zur Verfügung30. Das „Original“ ist mit spitzer, die „Nachzeichnung“ mit breiter Feder geschrieben worden, so dass sie kräftiger und dadurch schwärzer wirkt. A schrieb die Worte in Gruppen, der andere in gleichmäßiger Folge. Der erste wird gegen Ende flüchtiger, der zweite schreibt gleichmäßig fort. Wie auch die anderen Schreiber haben sie ihre Eigenheiten. Deren Auffälligste ist der wechselnde Gebrauch von Buch­staben­typen. Am leichtesten lässt sich das an den Buchstaben ‑a-, -d- und -t- zeigen. Sie kennen neben dem offenen auch ein geschlossenes -a-, wechseln zwischen steifem und geschwungenem -d-, verwenden neben dem einfachen -t- auch eine Form, bei der der Querstrich aus einer Rundung kommt. Das Ergebnis der Analyse lässt sich aus folgender Tabelle ablesen.

Buchstabentypen und ihr wechselnder Gebrauch durch die Schreiber

DO III Nr.A1 : A2D1 : D2T1 : T2Chrismontypen
157177 : --55 :  6167 : --  2 : 1
158 84 : -- 42 : 1585 : --2 : 1
159 A49 : 8  32 : -- !50 : --2 : 3
159 B    50 : 44 !  34 : -- !63 : --2 : 1
16175 : --25 : 1158 : --2 : 1
16266 : --36 :  670 : --2 : 1
17066 : --    -- : 22 !58 : --2 : 1
17168 : --11 : 1556 : --3 : 1
17365 : --  8 : 28 !54 : --3 : 1
174 A65 : --  8 : 23 !51 : --3 : 1
174 B  45 : 6 !27 : 8 !!    40 : 19 !Ohne !
17772 : --  5 : 41 !72 : --3 : 1
17853 : --  2 : 21 !45 : --3 : 1

Im Beobachtungszeitraum benutzten die Kanzleischreiber das offene -a-. Die Diplome für das Kloster Selz sind von dessen hauseigenen Leuten geschrieben worden. Wie aus einem der Chrismone abzuleiten ist, dürfte einer von ihnen Notar gewesen sein. Der Unterschied ihrer Persönlichkeiten tritt nicht nur im -a--Wechsel, sondern auch im deutlich voneinander abgesetzten Mischverhältnis beider Buchstabenformen zutage31. Daher ist auch der Langtextschreiber für Meißen nicht als im Augenblick der königlichen Kanzlei zugehörig zu betrachten, weil er zwischen den -a--Formen wechselt. Zugleich dürfte dieser Moment auch gegen „Nachzeichnung“ sprechen. Blickt man auf den Gebrauch der Typen des Buchstaben -d-, so fallen wieder die Pergamente für Kloster Selz auf, die nur die steife Form (D1) benutzen, wogegen die Urkunde für das Bistum Freising den gegenteiligen Gebrauch, nur das geschwungene -d- (D2) belegt32. Die anderen Diplome lassen sich in zwei Gruppen scheiden. Die eine bevorzugt beim Wechsel das steife (D1), die andere die geschwungene Form (D2). Beide Gruppen stellen sich zugleich auch als zeitlich voneinander geschieden dar. Zur Älteren sind die DD 157, 158, 161, 162, und 17133 zu rechnen, zur Jüngeren die DD 173, 174A, 177 und 17834. Dagegen fällt in ihr D 174B durch den Vorrang des steifen (D1) vor dem geschwungenen -d- auf. Wie schon im eigenwillig wechselnden Gebrauch bei -a- und -d- hebt sich D 174B auch in der Verwendung der -t--Typen ab. Nur hier begegnet neben dem einfachen -t- (T1) auch die Form mit dem Rundbogenanfang des Querstriches (T2). Um dieser in Dokumenten zu begegnen, muss man um Jahre zurückblättern. Zu Anfang des Jahres 993 etwa findet sich diese Type in Diplomen für das Bistum Passau35. Somit zeigt der Schriftenvergleich, dass der Schreiber der „Nachzeichnung“ sich zwar zeitgemäß verhält, sich aber weder der hier aufgewiesenen älteren, noch der jüngeren Gruppe, noch den Traditionen von Selz oder Freising zuordnen lässt. Zwar mit dem gleichen Ergebnis, aber statistisch schwerer darstellbar sind allerlei kleinere Auffälligkeiten, etwa der wechselnde Gebrauch der Buchstaben -v- und -u-. Hier kann -u = u-, -u = v-, -v = v-, aber auch -v = u- sein. So steht zu Ende des Kontextes in den Diplomen der jüngeren Gruppe D 174A: …ut infra videtur corroborauimus, in der B-Fassung aber: … ut infra uidetur corroborauimus.

In nicht näher erkennbarem Zusammenhang mit dem Kontext scheint das Chrismon zu stehen. Dieses Signum steht zu Beginn jeder ersten Diplomzeile. Seine Grundstruktur ist ein -C-, von dessen Enden Striche nach oben und unter führen. Dieses Gerüst ist mit einer Spirale umwunden. In das Innere des -C- zeichnete der für einen bestimmten Akt des Urkundvollzuges verantwortliche (aufsichtsführende ?) Notar das ihm eigentümliche Placet. In den berücksichtigten Pergamenten wurde vor allem das allgemeine Abkürzungszeichen (bis dreimal) und eine von Punkten flankierte Wellenlinie (bis dreimal) verwandt. Das Arsenal der Füllzeichen ist aber reichhaltiger, wie viele andere Ablichtungen zeigen. Ordnet man die Chrismontypen, so tritt die Gruppe 2:1 in eine Beziehung zur älteren Buchstabenwechselgruppe. Interessant dabei ist, dass die zweite Selzer Urkunde (D 159B) von einem der Notare der königlichen Kanzlei, die andere aber von einem Selzer Kleriker (2:3) beglaubigt worden ist. Warum unser Langtext kein gefülltes Chrismon hat, kann nicht erklärt werden36. Am ehesten wäre der Typus 3:1 zu erwarten gewesen. - Auf eine Diskussion der Langschriftzeilen wird in diesem Zusammenhang verzichtet.

Die Datazeile des dreifach überlieferten DO III 87 vom 11. März 992 ist ein Lehrbeispiel dafür, wie viele Schreiber in der königlichen Kanzlei gleichzeitig beschäftigt sein konnten und durch die Kanzleiordnung in den Urkundvollzug eingebunden waren. Gleich das -d- von data zeigt sich in drei Ausformungen des gewundenen Typs: D2 a, b, c. Das großbuchstabige -A- zeigt sich geflammt, bewegt und normal. Alle drei Ausfertigungen sind bis hin zum feliciter amen mit Eigenheiten der Schreiber gespickt. Übrigens bekennen sich auch drei Notare zu den Kontexten mit den Chrismonfüllungen 2:1, 1:1(?) und einem ungefüllten -C-(!)37. So finden sich auch in den Datazeilen der DD 174A und B Unterschiede. Das allgemeine Abkürzungszeichen in A gleicht nicht dem in B. In A wurde für das anlautende -t- bei tertii das einfache (T1), in B aber die andere Form (T2) verwandt. Von gleichem Duktus ist beiden nur die Prekation: fel (iciter gekürzt) amen, hinter die ein Zeichen gestellt ist: unter zwei in Waage gestellte Punkte ist noch ein Komma gesetzt. Genau diese Form des Zeilenschlusses begegnet aber nochmals in DO III 177 ! Diese Beobachtung läßt nunmehr ein abschließendes Urteil über die Qualität des Langtextes zu.

Im Sommer 995 sammelte Otto III. an der Elbe Truppen zu einem Zug gegen die Redarier38. Die Daten seiner Diplome ermöglichen es, den Weg seines Heeres zu verfolgen. Am 16. August urkundete er noch in Magdeburg (D 170), am 18. schon in Leitzkau (D 171), am 10. September in Mecklenburg (D 172). Schließlich stieß er bis zur Tollense vor. Hier belohnte er einen Getreuen am 2. Oktober mit einer Burg (D 173). Dann verließ er das Heer und reiste mit Bischof Eid im Gefolge 150 km bis Havelberg in etwa vier Tagen. An diesem Rastorte übereignete er am 6. Oktober dem Bistum Meißen die Benefizien des Grafen Esiko von Merseburg (D 174A). Nach einem Ritt von nochmals 150 km erreichte er am 8. Oktober Quedlinburg (D 175), wo er einige Tage verweilte und urkundete (D 176, 177). Danach reiste er weiter nach Schöningen, wo seine Anwesenheit am 24. Oktober belegt ist (D 178).

War der Kurztext für Meißen (D 174A) in Havelberg geschrieben worden, so muss wegen der formal- und handgleichen Prekation mit D 177 vom 21. Oktober der Langtext (D 174B) in Quedlinburg aufs Pergament gebracht worden sein. Der Schlusssegen in den DD 178 und 179 stammt schon wieder von anderer Hand. Spätestens hier dürfte man entdeckt haben, dass mit beneficium totem der neue Erwerb Meißens zu ungenau umschrieben worden war. Hier dürfte auch in den Kurztext mancipiis utriusque sexus zu Ende der fünften Zeile nachgetragen worden sein39. Schließlich wurden beide Fassungen als kanzleigerecht angesehen, so dass ein bestimmter, für uns jedoch anonymer Notar die Diplome mit seinem fel (iciter) amen versah und Bischof Eid übergab.

Über die Umstände, die es Otto III. ermöglichten, über die Benefizien des Grafen Esiko zu verfügen, sagen die Urkunden nichts. Nach Thietmar von Merseburg war der Graf treuer Anhänger der Liudolfinger. Als er 1004 starb, holte der König Heinrich II. seinen Sarg persönlich ein, brachte ihn nach Merseburg und ließ ihn an der Nordseite des Domes beisetzen40. Was Otto III. 995 an Meißen verreichte, kann nur ein Teil der gräflichen Liegenschaften gewesen sein. Nach seinem Tode werden noch Kuckenburg und Obhausen namentlich genannt41. Was auch immer den Grafen veranlasste, 995 auf neun Titel zu verzichten, als Merseburger war klar, dass sie im Jahre 995 nicht Magdeburg, sondern nur Meißen zufallen durften, da ‑ jetzt Erzbischof - Giselher zum Untergange des Bistums Merseburg 981 beigetragen hatte.

Urkunden und Chroniken nennen viele Namen von Grafen im Zusammenhang mit Merseburg. Schon Schlesinger urteilte, „die Grafschaftsverhältnisse im Merseburger Sprengel sind schwer zu durchschauen“42. Leichter lässt sich dagegen das Burgwardsystem an der unteren Mulde rekonstruieren. Die Vororte der Bezirke reihen sich in etwa gleichen Abständen voneinander am Fluss auf. Die Wardbereiche erstreckten sich querab zum Wasser und reichten von den Gaugrenzen im Westen zu denen im Osten43. Fast alle Urbes sind urkundlich benannt: (Döbeln), Nerchau, Pausitz, Wurzen, Püchau, Eilenburg, (Hohenprießnitz), Düben, Löbnitz, Pouch und Altjeßnitz44. Dass nicht alle Warde an Grafen vergeben waren, belegt Thietmar: super quatuor urbes iuxta Mildam fluvium positas Thiedberno benefitium concessit. Thiedbern war nur miles/Ritter45.

995 im Redarierfeldzug dem Bistum Meißen übereignet, waren die neun Esiko-Titel möglicherweise eine Stiftung auf den Todesfall. Der Wechsel - etwa in Püchau - ist daher nicht einfach mit der Lösung des Grafen von seinen Titeln gleichzusetzen. Lehnsrechtlich könnte Esiko die ihm aufgetragenen Reichslehen - etwa Püchau - an Otto III. als Oberlehnsherren zurückgegeben haben, damit der König sie an Meißen weiterreichen konnte. Dabei könnte dieses den Grafen samt Familie als Hintersassen angenommen und - etwa Püchau - ihm zur Nutznießung überlassen haben. Nach Thietmar starb der Graf von Lübschütz46. Der Ort kircht noch heute nach Püchau und dürfte einst zum Bereich des Burgwardes Püchau gehört haben. Irgendwann könnte es zwischen dem Bistum Meißen und den Nachkommen des Esiko Püchaus wegen zu Streit gekommen sein, den der König dahin schlichtete, dass er am 20. Juli 1040 dem Bistum nochmals seine Rechte an Püchau verbriefte47.

Textbefund und Schriftvergleich bestätigen somit das Urteil von Sickels, der Langtext sei bald nach dem Kurztext niedergeschrieben worden. Aus der Schriftform der Prekation lässt sich als Ort der Endausfertigung Quedlinburg und als Datum der 21. Oktober 995 erschließen48.

 1 Für diesen Abschnitt wurden Urkundkopien des Staatsarchives Dresden mit Dank benutzt.

 2 Im Zitat wurde der Text gerafft.

 3 Köhler
Gersdorf
Posse
von Sickel

 4 von Sickel, aus der Einleitung zur Urkunde.

 5 Leo Bönhoff, Die Burgwarde Wurzen und Püchau und das „Wurzener Land“ in ihren politischen und kirchlichen Beziehungen, in: Mitt. Wurzen, 1912 und 1914.

 6 Thiedbern war miles/Ritter. Er fiel mit anderen Genannten VIII Id. Septembris/am 6. September 1005. So Thietmar in seiner Chronik VI, 22. Im Merseburger Totenbuch verzeichnete Thietmar zwar die Mitgefallenen Benno, Bernhard und Ysi unter dem 7. September, nicht aber Thiedbern.

 7 Schlesinger KGS I 49.

 8 DH III 59, 20. Juli 1040.

 9 Schlesinger KGS I 90. Dazu die Ergänzung Seite 310: „Es ist auffällig, daß DH III 59 in der Textfassung dieser Fälschung ähnelt. Sollte man etwa die Fälschung in der königlichen Kanzlei vorgelegt haben, um eine echte Bestätigungsurkunde zu erlangen, die Fälschung aber dort erkannt worden sein, woraufhin Meißen nur einen (!) Burgward, eben Püchau, erhielt? Die vorgelegte Fälschung wäre dann trotzdem als Vorlage für den Wortlaut von DH III 59 benutzt worden. Wäre die echte Urkunde DO III 174A, die ja in den fraglichen Partien den gleichen Wortlaut hat, mit der Behauptung vorgelegt worden, das Lehen Asics sei eben der Burgward Püchau gewesen, und diese Behauptung hätte Glauben gefunden, so müßte die Fassung des daraufhin ausgestellten Diploms wohl anders lauten als sie vorliegt.“

10 Schlesinger KGS II 88.

11 Der Kürze halber wird das folgende berichtet nach Harald Schieckel, Regesten der Urkun­den des sächsischen Landeshauptarchives Dresden, Band I, 1960, Berlin. Regest 9 nennt die Originalurkunden 9, 10, 11, 507.

12 Schieckel, Regest 589, 631, 632, 633, 639. Übrigens ist Schlesinger auf die Urkunden nach Schieckels Regesten nicht eingegangen.

13 Hundert Jahre nach Theodor von Sickel ist trotz seines sicheren Urteils zu fragen, ob die Zuweisung von Handschriften nicht zu überprüfen wäre. So könnten sich bei näherem Zusehen unter HF mehrere Hände der gleichen Schule verbergen.

14 DO I 222a und b, Wallhausen, 23. April 961 = UBEM 23, 24.

15 DO I 232a und b, Ohrdruf, 29. Juli 961 = UBEM 27.

16 DO II 64a und b, Allstedt, 23. Oktober 973 = UBEM 78.

17 DO III 81, Grone, 06. Januar 992.

18 DO III 87, Boppard, 11. März 992.

19 DO III 159, Ehrenstein, 25. Dezember 994. Das dritte Exemplar wurde nicht berücksich­tigt, weil es weitgehend zerstört ist.

20 Schlesinger, Urkundstudien, Druck 1955 Seite 141, Nachdruck 1961 Seite 314 mit Anm. 48.

21 Wie Anm. 1.

22 Siehe Anm. 14 bis 19.

23 Ezerisco. Zwar hat sich ein Konsens dahingehend gebildet, den Ort mit Tiefensee gleichzusetzen. Das ist jedoch aus einem doppelten Grunde nicht nachvollziehbar. Im Gegensatz zu allen anderen Gleichungen zwischen alten und heutigen Namen lassen sich keine sprachlichen Brücken finden. Zum anderen aber widerspricht die Gleichung einer sinnvollen Verteilung der Burgwardorte und -bezirke an der unteren Mulde. Je nach Kanzlei ist der Ort unterschiedlich wiedergegeben worden .... Siehe auch Text zu Anm. ...

24 Schlesinger KGS I Seite 304 bietet als Gleichung: Sciamanstedi ist im altdeutschen Gebiet westlich der Saale zu suchen. Unscia ist Ober- und Niederwünsch bei Mücheln/Merseburg. In der Nähe Merseburgs hat wohl auch Potorisci gelegen. Herri ist wohl ebenfalls ein deut­scher, und zwar sehr altertümlicher Name, kein slawischer. Über das Geschick dieser vier Titel ist ansonsten nichts bekannt.

25 Pertinenzformel des D 174: hoc est areis, aedificiis, terris cultis et incultis, agris, pratis, campis, pascuis, silvis, venationibus, aquis aquarumve decursibus, piscationibus, molendinis, viis et inviis, exitibus et reditibus, quaesitis et inquirendis cunctisque aliis appendiciis quae ad huc dici … .

26 Vgl. DD 162, 176.

27 Vgl. DD 161, 173, 179, 180.

28 Vgl. auch Anm. ... .

29 Vgl. Anm. 20.

30 Dankenswerterweise konnten für diese Abschriften Ablichtungen aus den Staatsarchiven Dresden, Karlsruhe, Magdeburg und München verwendet werden.

31 DO III 159a und b - Vgl. Anm. 19.

32 DO III 170 vom 16. August 995 - von Sickel schreibt es der Hand des HF zu (?), DO III 170, Magdeburg, 16. August 995.

33 Zwischen dem 22. Dezember 994 und dem 18. August 995.

34 Zwischen dem 2. und 24. Oktober 995.

35 DO III 112 für Passau, Dortmund, den 27. Januar 993. Das Verhältnis von T1 zu T2 wie 72 : 35 - DO III 115 für Passau, Duisburg, den 6. Februar 993. Das Verhältnis von T1 zu T2 wie 66 : 9.

36 Fehlende Chrismonfüllungen begegnen selten.

37 Es ist nicht klar, ob das Chrismon leer ist, oder ob das Wellenzeichen außerhalb als Füllung anzusehen ist.

38 Thietmar, Chronik IV 20.

39 Vgl. Anm. 28.

40 Thietmar, Chronik IV 2, 11, V 15, VI 16.

41 Thietmar, Chronik VI 65. DH II 89 vom 23. November 1004. Nach dem Merseburger Totenbuch war Graf Esiko am 22. November verstorben.

42 Schlesinger KGS I Seite 302.

43 Vgl. die Meißner Zirkumscription, nach der die Muldenbistümer sich so einzurichten hatten, dass stets auch das jenseitige Ufer eines Vororts mit zu verwalten war. - Siehe ...

44 In Klammern die in Urkunden nicht genannten, aber vom „System“ bedingten Vororte. Über Burgwarde siehe unten.

45 Thietmar, Chronik, VI 16, 22.

46 Die Schreibung Liubizici wurde mehrfach geändert.

47 DH III 59 vom 20. Juli 1040.

48 Beide Diplome sind besiegelt.