24.05.18
in loser Reihe stellen wir hier einige Meinungsäußerungen, Würdigungen und Nachrufe von Verwandten, Freunden, Kollegen und Wegbegleitern ein, die das Bild des Jubilars abrunden sollen.
Mein Vater war ein wandelndes Geschichtslexikon, wusste Daten, Regentenzeiten, Verwandtschaftsverquickungen der Herrschenden aus dem Kopf, konnte Grenzverläufe und deren Veränderungen mühelos erläutern. Er war ein Verfechter des Grundsatzes, vom Ursprünglichen auszugehen, und verfocht seine Erkenntnisse vehement.
Seine Liebe galt der Oberlausitz. Er war ein sehr vielseitig interessierter Mensch: er liebte Kunstgeschichte, entwarf das Kirchensiegel von Kottmarsdorf, zeichnete viel, beschäftigte sich mit Wappenkunde, Numismatik und Wasserzeichen, Geologie und Bodenkunde, und nutzte all dies für seine Geschichtsforschung, indem er Zusammenhänge zwischen Bodenfruchtbarkeit, und mittelalterlichen Scheffelmaßen und Zinserträgen aus der Landwirtschaft postulierte. Es gab kaum ein Wissensgebiet, das er aussparte. Für uns Kinder war das immer von Vorteil, denn er war immer unser Ansprechpartner – erst als gestrenger Vater – später als väterlicher Freund und Berater.
Er hatte einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und scheute sich nie, Unrecht anzuprangern. So ging er z.B. nie zu den Wahlen und bemängelte gegenüber den Behörden jeweils vorab schriftlich, dass diese weder frei noch geheim seien, wie in der Verfassung der DDR zugesichert.
Oda
Auszug aus
Lětopis – Jahresschrift des Instituts für sorbische Volksforschung
Reihe B – Geschichte
Nr. 27/1 1980 S. 84-85
ISSN 0522-5078
Joachim Huth zum 65. Geburtstag
Einer der unermüdlichsten freien Mitarbeiter unseres Instituts, Herr Johannes Georg Joachim Huth, beging am 24. Dezember 1979 seinen 65. Geburtstag. Am besten beginnen wir diese kleine Würdigung seiner Person und seiner Forschung mit einem kurzgefaßten Curriculum vitae.
In Dresden als Sohn eines Krankenpflegers geboren, besuchte er dort eine Volksschule (1921–25), das Ehrlichsche Gestift (1925–31) und die Oberrealschule Neustadt (1931–34). Oberlausitzer Erde lernte er im Arbeitsdienst in Kamenz und Oberlausitzer Art im Theologischen Seminar in Herrhut (1934–35) kennen. Er hörte an den Universitäten Leipzig (1935–37) und Tübingen (1938–39) und bestand sein Examen 1940 in Leipzig. Zwei Jahren als Hilfsprediger im Kirchenbezirk Oschatz folgten zwei als Soldat. Ein Ohrschaden machte ihn 1944 wieder zum Zivilisten. Sein erstes Pfarramt war Großgrabe (Kr. Kamenz). Der Oberlausitz blieb er auch beim Stellenwechsel 1953 treu, als er nach Dürrhennersdorf (Kr. Löbau) ging, wo er bis zu seiner Emeritierung wirkte. Seiner Ehe (1942) entstammen 3 Töchter und 5 Söhne.
Obwohl schon als Schüler historisch interessiert, kam dies erst nach dem Studium zum Tragen. Während der Hilfsdienstzeit waren es die vielen Bitten um Zeugnisse zum damals überall geforderten Nachweis arischer Abstammung
. Das zwang zum Einlesen in die Kirchenbücher von mehr als zwanzig Gemeinden, eine Zahl, die durch laufende Kriegsvertretungen bedingt war. In Großgrabe begann es mit Ortskunde, in die auch Geologie, Botanik und anderes einbezogen war, um – wie er es selbst ausdrückt – ein richtiger
Landpfarrer sein zu können, der sich rundum auskennt
.¹ Als 1950 Großgrabe seine Ersterwähnung vor 725 Jahren feiern wollte, sah er sich die Urkunde im Stiftsarchiv zu St. Marienstern im Original an. Auf die Frage nach weiteren Quellen zur ältesten Geschichte des Ortes legte ihm die Archivarin das Zinsregister von 1374 vor. Das war – vorerst noch unbewußt – die Stunde, von der an auf dem Historischen der alleinige Akzent lag. Bald kam es zu Bekanntschaft und Zusammenarbeit mit dem Numismatiker und Ratsarchivar zu Görlitz, W. Haupt, die in der gemeinsamen Edition und Erschließung dieses Registers² ihre Krönung fand.
Damit waren die Weichen zu verschiedenen Themenkreisen gestellt: Klostergeschichte, Oberlausitzer Regional- und Dorfgeschichte, Strukturforschung in Anlehnung an Kh. Blaschkes Historisches Ortsverzeichnis
³. A. Meiches⁴ These vom Zusammenhang zwischen dem Mariensterner Stiftsbesitz auf dem Eigen und der berühmten Oberlausitzer Grenzurkunde veranlaßten Huth, den Fragen alter Grenzen, der Burgwardbezirke und der bischöflichen Besitzungen in der Oberlausitz nachzugehen. Einen zusätzlichen Anstoß in die bezeichnete Richtung brachte 1968 das Millenium des alten Bistums Meißen. So kam es – insbesondere zwischen 1973 und 1976 – zur Publizierung einer Reihe von Forschungsergebnissen⁵ zu diesem Fragenkomplex, dessen Erschließung der Jubilar indessen noch keineswegs als fertig
betrachtet. Daneben fesselten und fesseln ihn weiterhin die Bistumsmatrikel von 1495, das Rentenregister von 1419 sowie siedlungs- und stadtgeschichtliche Quellen, welche die Sechsstädte Görlitz, Löbau und Kamenz betreffen. Ohne seine durch das Studium all dieser Materialien ausgelösten Arbeiten etwa als gleichwertig
zu erachten, bekennt sich Huth mit Nachdruck zur Komplexität seiner Forschungsweise. Selbst formuliert er das so: Ich komme nicht vom komplexen Sehen und Betrachten der Dinge los. Irgendwie steht man plötzlich vor einer Wand. Da muß es eben anderswo weitergehen – und bisher hat sich stets ein neuer Weg gezeigt. Und sei es der Umweg über die Diplomatik. So wartet das Kloster [St. Marienstern – F. Mk.] sicherlich auf eine neue Klosterarbeit von mir. Nur: ich bin einige Umwege noch nicht zu Ende gegangen.
Als Bestandteil seines noch zu bewältigenden Arbeitsprogrammes sieht der Jubilar weiterhin die frühe Bistums- und Missionsgeschichte, denn der Fortbestand der Sorben bis heute
, so bemerkt er, erscheint mir mit der herkömmlichen Sicht der Mission durchs Schwert nicht recht vereinbar.
Übrigens datieren
Huths erste wendische Eindrücke
bereits von einer Ferienwanderung um 1930: Kamenz, Jugendherberge Panschwitz, Marienstern
. Als Arbeitsmann
war er 1934 an Bodenuntersuchungen mit längerem Aufenthalt in Crostwitz beteiligt
und wurde bei einem Fest des Kriegervereins Kuckau Zeuge von SA-Provokationen. Das sorbennahe Pfarramt in Großgrabe
und die wachsende Erkenntnis, welchen Anteil die Sorben in unserer Geschichte haben
, wurden nach eigener Aussage zu Marksteinen einer immer engeren Bindung an die sorbische Volksforschung, der er sich nun nicht allein durch die Mitarbeitsmöglichkeit
, sondern vor allem durch Mitarbeitsverantwortung
verbunden fühlt. Aus ethnisch-historischer Sicht betrachtet Huth die deutschen Bewohner unserer Heimat – sich selbst nicht ausgeschlossen – den Sorben aber auch leiblich, d. h. abstammungsmäßig
verbunden, zugespitzt gesagt: Wer die Sorben schief ansieht, beleidigt mindestens eine seiner Großmütter
.
Die sich in diesem Bekenntnis ausdrückende enge Bindung des Jubilars zur sorbischen Bevölkerung, vereint mit den Erkenntnissen seiner überaus schöpferischen und nach neuen Methoden suchenden historischen Forschungsarbeit gaben nicht zuletzt Anstoß zu einer ganzen Reihe kulturhistorisch-demographischer Miszellen mit ganz speziell sorbenkundlicher Thematik. Sie im einzelnen hier aufzuführen, erübrigt sich, zumal sie meist im Lětopis B erschienen und dort auch regelmäßig bibliographisch nachgewiesen sind. Dagegen möchten wir diese kurze Würdigung mit der bibliographischen Aufzählung einiger Veröffentlichungen abschließen, die der Jubilar selbst als wichtig
wertet und die außerhalb des sorbischen Editionsbereiches zum Abdruck kamen. Vorher aber möchte die sorbische Volksforschung Herrn Pfarrer J. Huth anläßlich seines 65. Geburtstages verbunden mit Dank für langjährige treue Mitarbeit nachträglich die besten Wünsche aussprechen. Vor allem wünschen wir dem Jubilar auch nach Eintritt in den Ruhestand Gesundheit, Schaffensfreude und einen nicht versiegenden Reichtum schöpferischer Initiative bei der Entschlüsselung noch nicht hinreichend geklärter Fragen der Oberlausitzer Regionalgeschichte.
Frido Mětšk
Bibliographischer Anhang
Nachweisung einiger Arbeiten von J. Huth, die außerhalb der Editionen des Instituts für sorbische Volksforschung erschienen sind (1956–1976)
Si semper sunt
vom 2. I. 968, in: Millenium Dioeceseos Pragensis 973–1973 [= Annales Instituti Slavici], Bd. 8, Wien–Köln–Graz 1974, S. 73–94
¹ Diese und spätere Zitate aus einem Brief des Jubilars vom 16. 11. 1979
² Das Zinsregister des Klosters Marienstern. Hrsg. v. W. Haupt und J. Huth, Bautzen 1957 [=Schriftenreihe des Instituts für sorbische Volksforschung, Nr. 6]
³ Historisches Ortsverzeichnis von Sachsen. Bearb. v. Kh. Blaschke, Leipzig 1957
⁴ A. Meiche, Die Oberlausitzer Grenzurkunde vom Jahre 1241 und die Burgwarde Ostrusna, Trebista und Godobi, in: Neues Lausitzisches Magazin, Bd. 84 (1908), S. 145–251
⁵ Vgl. die Auswahlbibliographie auf S. 85 dieser Zeitschrift
87 Löbau, den 18.05.92
Liebe Schwestern und Brüfer !
Gott, der Herr über Tod und Leben, hat unseren Bruder
Pfarrer i.R. Joachim Huth
am 2.Mai 1992 aus diesem Leben abberufen.
Bruder Huth war am 24.12.1914 in Dresden geboren worden. Im Jahre 1942 heirate er Anneliese geb. Krelle. Acht Kinder sind den Eheleuten geschenkt worden.
Bruder Huth begann seinen Dienst 1940 in der Ephorie Oschatz, wurde zwischen 1942 und 1944 zur Wehrmacht eingezogen, war ab 1944 Pfarrer in Großgrabe bei Kamenz und ab 1953 in Dürrhennersdorf, wo er auch emeritiert wurde und seine Ruhestandswohnung hatte.
In Bruder Huth begegnete uns ein Mann, der mit Ernsthaftigkeit und Eifer den Predigtdienst bis in die letzten Lebenswochen hinein wahrnahm. Schon im Pfarramt, aber genauso intensiv auch im Ruhestand, widmete er sich theologischen Studien, deren Ergebnisse seiner eigenen Arbeit, aber auch der Arbeit im Konvent und im Kirchenbezirk zugute kamen. Wegen seiner Kompetenz und Sachkunde wurde Bruder Huth geschätzt, wegen seiner Kompromißlosigkeit zuweilen auch gefürchtet. Mit seiner Ernsthaftigkeit, seiner Herzlichkeit und seiner Strenge wird er uns in Erinnerung bleiben.
Sein immer schwächer werdendes Gehör und zuletzt der Tod seiner Frau im vergangenen Jahr ließen ihn in vielen auf sich selbst gestellt bleiben. Dennoch erschien er nie mutlos und war im Glauben getröstet und gehalten.
Bruder Huth hat zeitweilen an der Kirche gelitten und seine Kirche an ihm. Seine starke Persönlichkeit ertrug es nicht, wenn seine Erkenntnisse und Einsichten nicht in vollem Umfange und mit aller Konsequenz in Handlung umgesetzt wurden. Daß er um Christi willen Frieden bieten und annehmen konnte, hat er uns deutlich werden lassen.
Am Freitag, dem 19.05.1992. soll um 13.30 Uhr in der Halle des Taucherfriedhofes Bautzen Abschied gehalten und anschließend die Urne im Familiengrab beigesetzt werden.
Mit dem Losungswort von 2.Mai, seinem Todestag, grüße ich Sie alle! Du hast meine Seele vom Tode errettet, mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten.
Gott gebe, daß die Angehörigen und wir alle von dieser Gewißheit getragen werden, und daß sie ihn trug in den letzten Stunden auf dieser Erde.
Gott befohlen!
[gez.]
in sorbisch erschienen in: Serbske Nowiny, 29. Mai 1992
Übersetzung:
Heute Mittag verabschiedete sich ein großer Familienkreis auf dem Bautzener Taucherfriedhof von seinem Vater und Großvater, Pfarrer i.R. Joachim Huth aus Dürrhennersdorf, der im Hause seines Sohnes am 2. Mai hier in Bautzen im 78. Lebensjahr ganz unverhofft verstarb.
Uns Sorben ist der Verstorbene – Pfarrer Joachim Huth – über Jahrzehnte hinweg ein zugetaner Mensch und Forscher auf dem Gebiet der Früh- und Mittelaltergeschichte der Oberlausitz gewesen. Mit einer zufälligen Auffindung eines Zinsregisters aus dem Jahre 1374 im Kloster Marienstern und seiner mit Walter Haupt vorgenommenen Bearbeitung und Edition dieser Geschichtsquelle mit dem Titel "Das Zinsregister des Klosters Marienstern" in der Schriftenreihe des Instituts für sorbische Volksforschung im Jahre 1957 begann Joachim Huth's enge Zusammenarbeit mit der sorbisch-lausitzschen Geschichtsforschung. Die sorbische Geschichtsforschung hat ihm viele Arbeiten zu verdanken, die er, in staatlichen und kirchlichen Archiven und Bibliotheken forschend sowie im Lětopis und anderen Periodika publizierend, verfaßt hat.
Persönlich erinnere ich mich an die zahlreichen Besuche von Pfarrer Huth im Institut und die fruchtbringenden und immer interessanten Gespräche über die verschiedendsten Fragen der Mittelaltergeschichte in seiner weitgefaßten Regionalschau, die von der Oberlausitzer Westgrenze bei Pulsnitz bis zur Ostgrenze am Queisfluß reichte. Als ich vor zwei Monaten letztmalig mit ihm sprach, berichtete er noch über so viele Forschungsvorhaben und Pläne in kommender Zeit. Gottes Wille war es, daß er die Schreibfeder nun für immer beiseite legen mußte. Möge Ihm die historische sorbisch-lausitzische Erde auf dem Taucherfriedhof leicht sei.
Jurij Knebel
Sehr geehrter Herr Huth,
zum Ableben Ihres lieben Vaters darf ich Ihnen, Ihrer Familie und allen Angehörigen mein aufrichtiges Beileid aussprechen. Seit Jahrzehnten gehörte der auf landesgeschichtlichem Gebiet forschende Theologe zu den fleißigsten Benutzern des Staatsarchives Dresden und des Bautzener Archivs auf der Ortenburg. Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen, die weithin Anerkennung fanden und die Erkenntnisse über vergangene Zeiten in unserem historischen Raum erweitert und vertieft haben, sind ein bleibender Wert des Verstorbenen. Das Staatsarchiv Dresden und die Historische Kommission bei der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig werden dem Landeshistoriker und Menschen Joachim Huth ein bleibendes Gedenken bewahren.
Mit stillem Gruß
(gez.) Ihr R. Groß
Dr. sc. phil. Groß
Werte Angehörige der Familie Huth,
die Mitarbeiter des Sorbischen Instituts, des vormaligen Instituts für sorbische Volksforschung, sprechen Ihnen, tief betroffen vom unerwartet frühen Ableben Ihres Vaters, Herrn Joachim Huth, Pfarrer i. R., ihr tief empfundenes Mitgefühl aus. Mit ihm hat die Lausitzer Geschichstwissenschaft einen engagierten Forscher und unser Institut einen langjährigen Mitarbeiter und kritisch sorgenden Begleiter verloren. Er selbst hatte noch vor wenigen Wochen unser Haus als seine wissenschaftliche Heimat bezeichnet und daraus das Gefühl seiner Mitverantwortung bei der Um- und Neugründung unserer Forschungseinrichtung abgeleitet. Sein sachkundiges Wort, für das Institut für sorbische Volksforschung eingelegt, war eines der Gewichte, die den verlustfreien Übergang dieser Wissenschaftsstätte und die Fortführung ihrer Forschungen im neuen Sorbischen Institut gefördert und ermöglicht hatten.
Wir werden Hernn Joachim Huth in ehrendem Gedenken bewahren.
Hochachtungsvoll
(gez.) Helmut Faßke
Prof. Dr. Helmut Faßke
Gründungsdirektor
Sehr geehrter Herr Huth,
mit herzlicher Anteilnahme hab ich die Nachricht erhalten, daß Ihr liebr Vater am 2. Mai heimgerufen wurde. Ich spreche Ihnen und Ihren Angehörigen – zugleich im Namen des Landeskirchenamtes – unser herzliches Beileid aus.
Ihr Vater hat ein hohes Alter erreichen dürfen, und Sie werden in allem Schmerz des Verlustes auch dankbar dafür sein, daß unser Herr ihn sein Leben lang behütet und begleitet hat und er im Vertrauen auf ihn seinen nicht immer leichten Weg gegangen ist. Ich grüße Sie in teilnehmenden Gedenken mit einem Wort des Hieronymus:
"Wir wollen nicht trauern, daß wir ihn verloren haben, sondern dankbar sein, daß wir ihn hatten, ja, auch jetzt noch besitzen, denn wer heimkehrt zum Herrn, bleibt in der Gemeinschaft der Gottesfamilie und ist nur vorausgegangen."
Ihr (gez.) Johannes Kempel
Sehr geehrte Frau Andelewski !
Ihren Brief vom 17. Mai 1992, dem die für mich übergebene Anzeige des Todes Ihres Vaters beilag, habe ich heute in der Neuen Grünstraße vorgefunden.
Seit dem 24. Januar d.J. bin ich wegen Herzschwäche krank geschrieben, war vom 29. April – 27. Mai zur "weiterführenden Behandlung" in Bad Wildungen und habe heute zum 1. Mal seit dem 24.I. die Dienststelle Neue Grünstraße wieder betreten.
Zunächst möchte ich Ihnen meine herzliche Anteilnahme zum Heimgang Ihres Vaters aussprechen. Als Prediger des Evangeliums, worauf die Anzeige hinweist, habe ich Ihren nicht mehr erleben können. Aber in dem, was uns in seinen Ruhestandsstudien zusammengeführt hat, war etwas davon spürbar, daß es Ihrem Vater nicht um einen Job, sondern um ein Amt gegangen ist, zu dem er durch Menschen berufen worden ist, das ihm aber durch unseren Herrn "befohlen" worden ist.
Zu denen, die durch den Heimgang Ihres Vaters etwas verloren haben, gehört auch unsere Berlin – Brandenburger Kirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft. Ich habe mich gefreut, daß Ihr Vater seine Erkenntnisse über die Überlieferung der Havelberger Gründungsurkunde im März v.J. noch hat vortragen und im Oktober 91 noch im "Jahrbuch" hat veröffentlichen können.
Mit seinen Darlegungen hat er eine in Fachkreisen als erledigt angesehene Angelegenheit wieder in die Diskussion gebracht. Dafür sind wir Brandenburger dem Sachsen sher dankbar, und natürlich hatten wir gehofft, Ihren Vater für die noch ausstehende Aussprache über seine Thesen als kompetenten und engagierten Gesprächspartner heranziehen zu können.
Was den Nachlaß Ihres Vaters betrifft, so will ich Sie nach Pfingsten anrufen, um mit Ihnen einen Gesprächstermin zu vereinbaren. Sicher ist Ihnen und Ihren Geschwistern klar, daß der wiss. Nachlaß nach Möglichkeit als einheitlicher Bestand erhalten bleiben und der Forschung zur Verfügung stehen soll.
Sollten Sie bereits über eine Zusammenstellung etwa der Manuskripte zur mitteldeutschen Territorialgeschichte verfügen, so wäre das für das Gespräch sicher hilfreich.
Ein recht gesegnetes Pfingstfest wünscht Ihnen und Ihren Geschwistern
(gez.) Ihr Max-Ottokar Kunzendorf
Im letzten Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte
(58(1991), S.9-38) konnten wir als Beitrag von Joachim Huth seine, zuvor schon den Herbergen der Christenheit
(1985/6, S.7-39) vorgelegten, jetzt überarbeiteten und noch fundierteren Beweisführungen über Die Echtheit der Havelberger Stiftungsurkunde vom 9. Mai 946
veröffentlichen. Es war dies keine Geste duldsamer Höflichkeit gegenüber einem emeritierten, im ländlichen Dürrhennersdorf (Kreis Löbau) lebenden Pfarrer, sondern geschah aus der Überzeugung, einer aus der Lausitzer Kirchengeschichtsforschung bereits bekannten und geachteten Stimme, die sich nun zu einer für dei Anfänge der brandenburgischen Kirchengeschichte Frage von erheblichem Gewicht gegen die herrschende Meinung erhob, Gehör zu verschaffen, weil sie sich auf sorgfältige diplomatische Vergleiche und neue Beobachtungen zum Zehnt und zu den Burgwarden stützte.
Für Joachim Huth, der am 2. Mai 1992 im Alter von 77 Jahren starb, war, wie aus der Korrespondenz mit ihm hervorgeht und von seinen Nachlaß verwahrenden Kindern bestätigt wird, die Befassung mit der Havelberger Stiftungsurkunde nur ein Baustein für eine Vor- und Frühgeschichte des Bistums Havelberg. Fast fertig behauen (und vielleicht doch noch zum Druck zu bringen?) war ein zweiter, der den vortridentinischen Heiligenkalendern des Bistums Havelberg galt. Mit ihm versuchte der Verfasser durch mühsehlig-penible Vergleichsstudien, von den aus unmittelbar vorreformatorischer Zeit überlieferten Havenberger Kalendern mit ihren überwiegend allgemein verbreiteten, zum Teil aber auch havelbergtypischen Feier- und Heiligentagen jüngere Schichten abzuheben, um zum Erstkalender des Bistums Havelberg zu gelangen, und meinte plausibel machen zu können, daß die Missionszeit des 10. Jahrhunderts ein Wormser Kalender die Basis für den von Havelberg abgegeben habe. Daraus schloß Huth, daß von Worms aus die Missionare an Havel, Elbe und Peene gesandt wurden, bis 946 ein Bischof in Havelberg eingesetzt werden konnte. Auch wenn künftige Forschung an der These festhalten sollte, daß die Bistümer Havelberg und Brandenburg zum Zweck der Mission eingerichtet wurden, dürfte sie nicht an Huths Kalenderstudien und den daraus ableitbaren Erkenntnisgewinnen vorbeigehen.
Weitere Bausteine, die es verdienten, der frühen brandenburgischen Kirchengeschichte nutzbar gemacht zu werden, betreffen Hinweise auf das Fehlen zisterziensischer und prämonstratensischer Einflüsse auf den im 12. Jahrhundert (wieder)errichteten Bau des Havelberger Domes, auf die Marienburg als ersten Festpunkt kirchlicher Arbeit vor 946 und auf Argumente, die gegen die immer nachgebete Meinung Albert Haucks sprechen, nach dem Slawensturm von 983 sei lange Zeit auf jegliche Missionsarbeit verzichtet worden.
Der frühen brandenburgischen und insbesondere havelbergischen Kirchengeschichte hatte Joachim Huth sich erst in seiner letzten Lebensphase zugewandt. Den Weg zum Interesse an der Vergangenheit und weiter zur ernsthaften, eigenständigen historischen Forschung hatte er bereits 1950 eingeschlagen, als er Pfarrer des oberlausitzschen Großgrabe anläßlich der Ersterwähnungsfeier seines Dorfes vor 725 Jahren im Stiftsarchiv zu St. Marienstern auch auf das dortige Zinsregister von 1374 aufmerksam gemacht wurde. 1956 – damals schon drei Jahre Pfarrer in Dürrhennersdorf, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1980 amtierte und darüber hinaus bis zu seinem Tod fast Sonntag für Sonntag Vertretungsgottesdienste übernahm – gab er das Zinsbuch heraus – gemeinsam mit dem Görlitzer Ratsarchivar Walter Haupt, vom dem er mit so nachhaltigem Erfolg mit dem Werkzeug des Historikers vertraut gemacht worden sein dürfte. Das Zisterzienserkloster Marienstern blieb auch weiterhin ein zentraler Ort für Huths quellennahe Forschungen, doch weitete sich sein Interessenhorizont aus zu Problemen der Siedlungs- und Herrschaftsgeschichte der Oberlausitz, zur frühen Geschichte des Bistums Meißen, zu Kalenderstudien des Bistums Merseburg bis hin zu übergreifenden Fragen nach der Bedingtheit kirchlicher Strukturen des Mittelalters in Sachsen, um schließlich – zum Glück für die brandenburgische Kirchengeschichte! – auch das Bistum Havelberg zu erfassen.
Die dankbare Erinnerung in unserem Jahrbuch gilt naturgemäß dem Historiker Joachim Huth, seinen kirchengeschichtlichen Leistungen und Anregungen, die ihn zum vollwertigen Zunftgenossen machten. Fast wichtiger aber noch ist die zur Nachfolge aufrufende und ermutigende Erinnerung daran, daß er zunächst und in erster Linie Gemeindepfarrer war. Geboren in Dresden am 24. Dezember 1914 hatte er nach der Schulzeit am Theologischen Seminar in Herrnhut, dann in Leipzig, Dorpat, Tübingen und wieder Leipzig, wo er 1940 sein Examen ablegte, studiert. Aus gesundheitlichen Gründen 1944 aus der Wehrmacht entlassen, übernahm er 1944 das Pfarramt in Großgrabe und 1953 das in Dürrhennersdorf. Mag der Leser seiner wissenschaftlichen Studien mit besonderem Respekt bedenken, was es bedeutete, fernab von guten Bibliotheken die Forschung kritisch zu verfolgen und selbst mit stetig größer werdendem Blickfeld voranzubringen, so sollte der Respekt der Zeitgenossen, die es leichter hatten oder sich leichter machten, auch dem Vater von acht Kindern gelten, der nicht an Wahlen teilnahm, die weder frei noch geheim waren.
[Vgl. auch Frido Mětšk, Joachim Huth zum 65. Geburtstag (mit einem bibliographischen Anhang), in: Letopis 1980, S. 84f. ]
Sehr geehrter Herr Dr. Huth,
ich habe mich selten über eine schlichte Mail mehr gefreut als über Ihre Nachricht vom bevorstehenden 100. Geburtstag Ihres Vaters. Pfarrer Huth hat sich mir in meiner (teilweise) Dürrhennersdorfer Kindheit stärker eingeprägt als irgendein Geistlicher. Nicht nur von der Kanzel herab, sondern überhaupt sprach er – wegen seiner Kriegsverletzung – mit einer lauten Stimme, die einem kleinen Jungen (geb. 1950) Respekt einflößte. Dazu kam seine hohe Gestalt.
Mein Großvater Otto Scholze (Hauptstraße Niederdorf Nr. 20 B) war viele Jahre im Kirchenvorstand; mein Vater zeitlebens Bürodirektor im Bezirkskirchenamt Bautzen. Pfarrer Huth kannte er also doppelt
.
Doch wir alle wussten damals nicht, dass er auch Historiker und quasi Sorabist war, dass es einen Lětopis
gab und ein Zinsregister des Klosters Marienstern. Als ich mich nach der Wende statt mit Polen mit den Slawen in Deutschland
beruflich zu beschäftigen begann, da war er längst im Ruhestand. Im Institut an der Thälmann- bzw. Bahnhofstraße ging er gern ein und aus. Doch bevor er mich im (nunmehrigen) Sorbischen Institut besuchen konnte, ist er 1992 plötzlich gestorben. Ich habe das sehr bedauert, denn er hätte sich bestimmt gefreut, in der Forschungseinrichtung einen Dürrhennersdorfer
wiederzutreffen, der ihm einst an jedem Altjahrsabend
zugehört hatte. (Denn ich ging bis beinahe zum Abitur mit dem Großvater regelmäßig in die Neujuhrschnacht
.) Und wir hätten eine gemeinsame Tradition entdecken können: Wie sich zwei Oberlausitzer (aus dem Bergland) auch ohne die entsprechende nachweisbare Herkunft für ihre sorbischen Landsleute engagieren können. Joachim Huth war schließlich jener unermüdliche freie Mitarbeiter
unseres seit 1951 bestehenden Instituts. Dank und Glückwunsch von Dr. Frido Mětšk (1916–1990) können Sie gern ins Internet stellen. Meine Kollegen haben mir versichert, dass sie Ihnen eine Kopie demnächst übermitteln werden: aus Lp B 27(1980)1, S.84/85.
Wie geht es Ihren Geschwistern, die ich nur vom Sehen im Gottesdienst – in der zweiten Reihe links – kenne?
Mit freundlichem Gruß aus Bautzen
(gez.) Dietrich Scholze