JOACHIM HUTH

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Joachim Huth

01.11.14

 

Eine Fälschung für Meißen
- das Diplom Ottos I. vom 11. Januar 948 (DO I 437)

Schon seit langem misstraute man dem Pergament im Staatsarchiv Dresden, das als Diplom Ottos I. auf den 11. Januar 948 datiert ist und sich als Stiftungsurkunde für das Bistum Meißen ausgibt. Theodor von Sickel stellte es zu Recht unter die Falsa, als er die Urkunden Ottos I. herausgab1. Die Schrift schien ihm dem 12. Jahrhundert anzugehören. Er befand auch das Indorsat der Urkunde für jung (15. Jahrhundert). Der Sachinhalt des Falsums deckt sich aber mit dem der ältesten Urkunden für das Bistum Meißen. Danach untersteht das Bistum dem alleinigen Patronat des Evangelisten Johannes2. Die Zehntbestimmungen gleichen wortwörtlich denen der anderen alten Urkunden, jedoch beginnt und endet die Umschreibung des Jurisdiktionsbereiches nicht wie in jenen an der Quelle der Oder, sondern an der der Freiberger Mulde. Da der Fälscher mit et sic usque ad civitatem Zulpize nichts anzufangen wusste, ließ er diese Angabe der Umschreibung einfach aus3. Ansonsten ist die Einkleidung des Sachinhaltes stilistisch unottonisch und inhaltlich falsch.

Die Intitulatio heißt Otto divina favente clementia Romanorum imperator augustus. Am 11. Januar 948 war Otto nur König. Erst nach seiner Kaiserkrönung trat an die Stelle des rex der Titel imperator augustus. So hielt es auch sein Sohn. Erst der Enkel begriff sich nach der Rangerhöhung als Romanorum imperator augustus. Der Fälscher dürfte sein Wissen Diplomen späterer Zeiten entnommen haben4.

In den Diplomen veröffentlichten die Herrscher ihre Entscheidungen. Sie sind daher stets an alle (!) ihre Getreuen gerichtet. D 437 widerspricht mit der speziellen Anrede an Bischöfe, Äbte, Kanoniker (!) und Mönche (!) dieser Gepflogenheit. Normal wäre etwa: Noverit omnium (!) fidelium nostrorum … .

Ebenso unottonisch ist die Ausweitung des Remedium-Gedankens auf die Seelen aller (!) entschlafenen Getreuen und die Apostrophierung von Ottos (namentlich nicht genannter) Frau als dulcissima conlateralis nostre carissimeque solobris nostre5. Da am 11. Januar 948 Otto aber Witwer war - seine erste Gemahlin, die englische Königstochter Edith, war 946 gestorben - konnte nicht gut von perenni felicitate die Rede sein.

Außer in der ebenfalls als Fälschung verschrienen Bulle Si semper sunt vom 2. Januar 9686 nennt nur noch unser Falsum den Namen des ersten Bischofs für Meißen: Burchardus. Sie berichtet, er sei in Mainz von Erzbischof Hildibert geweiht worden. Der aber starb bereits am 31. Mai 937. Am 11. Januar 948 führte Friedrich (937-954) den Stab. Auffällig sind auch die massiven Strafen, mit denen die Übertreter der königlichen Setzung bedroht werden: Ein Ende wie das des Ehepaares Ananias und Saphira oder das des Verräters Judas. Das mag als Probe für die Ungereimtheiten der Fälschung genügen.

Die Frage, wann wer das D 437 schrieb, beantwortet v. Sickel sehr allgemein, das Falsum sei während der sich durch Jahrhunderte hinziehenden Grenzstreitigkeiten des Bistums Meißen mit seinen Nachbarn entstanden. Jedoch sei es nie besiegelt gewesen, also nie ernstlich gebraucht worden. Wenn er vermerkt, das königliche Handmal habe man „ziemlich richtig gebildet“, bescheinigt er dem Fälscher, sich ottonische Urkunden genau angesehen zu haben. Weil das D 437 aber Mainz gleich zweimal nennt, ist zuerst an diese Stadt zu denken: dort sei Burchard zum Bischof geweiht, dort auch die Stiftungsurkunde ausgestellt worden7.

In der Person des Magisters Gebehard, der sowohl Domherr in Meißen als auch in Mainz war, könnte man die Kontaktperson sehen. Meist nur als Urkundzeuge erwähnt, könnte er nicht unbedeutend gewesen sein. Schon 1258 war er Domherr zu Naumburg, wo er Scholaster (1266), dann Thesaurar (1275, 1279) war. Von 1266 bis zum Tode Markgraf Heinrichs des Erlauchten (1288) war er dessen Protonotar. 1268 begegnen wir ihm als Domherrn in Meißen. Als solcher war er Probst zu (Großen-)Hain und Obödientiar von Dölzschen. Das Dekanat des Domkapitels zu Mainz, verbunden mit dem Amte des Propstes zu St. Viktor, trat er 1283 an. Alle drei Pfründen behielt er wohl bis zu seinem Tode im Juni 1293. In der Domkirche zu Meißen stiftete er einen Altar (1291), bedachte aber in seinem Testamente auch das Domkapitel zu Mainz. Seinen Wohltätern dankte er durch Anniversare. So Werner von Eppenstein, dem Erzbischof von Mainz (1259-1284), unter dem er ins Erzkapitel eintrat; so den Helfern seiner jungen Jahre: Dietrich von Wettin, Bischof von Naumburg (1244-1272) und dem Kustos Bernhard von Naumburg, der nur zu 1259 urkundlich fassbar ist. Bischof Dietrich dürfte Magister Gebehard seinem Bruder, dem Markgrafen Heinrich empfohlen, dieser ihm zur Meißner Prälatur und später zu einer Exspektanz auf eine päpstliche Provision verholfen haben, durch die er in Mainz Domdekan wurde. Wo er seinen akademischen Grad erlangte ist unbekannt8. Als Dekan führte er ein Siegel, das eine Mitra zeigt und die heraldische Lilie, aus der auf seine Herkunft rückgeschlossen werden kann9. An Magister Gebehard ist auch zu denken, wenn man erklären will, wie die Scriptumzeile eines Diploms Heinrichs I. vom Jahre 930 aus einer Urkunde für das Kloster Hersfeld wortwörtlich als Scriptumzeile unseres Falsums erscheinen kann: Folcmarus cancellarius vice Hildeberti archicapellani recognovi10.

Hier heißt die Brücke zum Verständnis „Hersfeld“. Diesem Kloster wurde im Zuge einer Reform am 5. Februar 1015 das Kloster Memleben unterstellt11. Memleben hatte u.a. von Otto II. Burgwarde im Süden des Gaues Daleminze erhalten. Diese waren verlehnt worden und erscheinen um 1150 in den Händen der Wettiner. Diese setzten auf Hersfelder Eigen das Kloster Altzelle aus, reduzierten sehr bald die anfangs gegebenen Zusagen, weil man um das spätere Freiberg Silber gefunden hatte. Wettiner um Wettiner ließ sich das Hersfelder Lehn weiter verreichen. Lehnnahmen sind für 1289 und 1292 bezeugt12. Da die Wettiner als Landgrafen von Thüringen sich mit Hersfelder Liegenschaften berührten, sind auch von daher Berührungspunkte anzunehmen. Dass zur Erledigung schwebender Fragen ein so vielseitiger Mann wie Magister Gebehard besonders geeignet war, kann unterstellt werden.

Ist Magister Gebehard am Entstehen des Falsums beteiligt, so kann es erst nach 1283 entstanden sein. Seine Motive könnten sowohl aus seinen Bindungen an Mainz wie an Meißen resultieren. Erzmainz dürfte kein Interesse gehabt haben, Prag als Suffragan zu verlieren, und Meißen keines, einem Erzbistum Prag untergeordnet zu werden, wozu man in Böhmen immer wieder Anläufe unternahm. Die Datierung des D 437 auf den 11. Januar 948 könnte dabei gegen das Prager Bullenfalsum vom Juli 967 und das Zitieren der Meißner Circumscription gegen die riesigen Ansprüche Prags in der Urkunde Heinrichs IV. vom 29. April 1086 gerichtet gewesen sein13. Sieht man von der Person Gebehards jedoch ab, steht alles auf Spekulation.

 1 Monumenta Germaniae Historica (MGH), Diplomata I als DO I 437. - Von Lübke nicht registriert, da Fälschung.

 2 Donat wird nicht genannt.

 3 Siehe Circumscription, Tabelle im Abschnitt D.

 4 Falscher Titelgebrauch zeichnet auch eine Reihe anderer Falsa aus: DDO I 436 (940), 438 (948), 456, 462, 463, 464.

 5 Im Blick auf das Datum des D 437: Edith, die erste Frau Ottos I. wird gekennzeichnet als dilecta, dilectissima in DDO I 6, 7, 24, 50, 69, 74, 88, 91, 107, 112, 121; als cara in DO I 13. Bei Adelheid, Ottos zweiter Frau, ist das Vokabular reicher, aber dulcis, dulcissima erscheint auch hier nicht.

 6 Über die Bulle Papst Johannes XIII. siehe unten.

 7 In der Datazeile heißt es actum Moguntie.

 8 Außer der adligen Geburt eröffnete auch ein akademischer Grad den Eintritt in ein Dom­kapitel.

 9 Außer den Urkundbüchern entnommenen Angaben ist für die Mitteilungen des Archivs des Domstifts Mainz vom 9.7.1987 zu danken. Codex diplomaticus exhibens anectoda ab anno 881 ad 1300 ..., Valent. Ferd. de Gudenus, Goettingae, 1743. Dort Seite 826 ff; Georg Christian Joannis, Volumen secundum Rerum Moguntiacarum, ..., Frankfurt/Main 1722. Dort Seite 300, 616.

10 MGH DD Band I: Diplome Konrads I., Heinrichs I. und Ottos I. Hier DH I 25.

11 Thietmar, Chronik VII 31; dazu: DH II 331.

12 Staatsarchiv Dresden OU 1273(1289), OU 1383(1292).

13 Z 181; DH IV 390.