JOACHIM HUTH

Die Homepage von
Joachim Huth

01.11.14

 

DO III 186

In ihren „Urkundstudien zur deutschen Ostpolitik unter Otto III.“ untersuchten Schlesinger und Beumann auch das DO III 186 auf seinen Aussagewert zur Frühgeschichte des Bistums Meißen1. In dieser vielbeachteten und oft zitierten Arbeit führte Schlesinger zuerst durch das wirre Knäuel der äußeren und inneren Verdachtsmomente, die die Forschung zur Sache geäußert hatte2, um schließlich eine Lösung durch erneute diplomatische Untersuchung zu fordern. Ihr unterzog sich Beumann. Er erinnerte an Theodor von Sickel, der wegen der Zweifel an der Handschrift diese vor dem Druck des Textes nochmals überprüfte, dann aber befand, die Urkunde sei ohne jede Einschränkung echt und von Hildibald I. (=HI) geschrieben. Dieser Hand ordnete er auch die Diplome DD 183, 184, 243 und 251 zu3. Beumann folgte den Spuren des Altmeisters, die ihn zur gleichen Feststellung führten, DO III 186 stamme von der Hand des HI und sei echt (323). Gleich eingangs stellte Beumann fest, gegenüber den Vergleichsstücken nähme D 186 eine Sonderstellung ein. Stünden dort die Länge der Texte in einem angemessenen Verhältnis zur Größe der verwendeten Pergamente, sei hier ein langer Text auf auffallend kleinem Raum untergebracht, dies aber durch engeren Zeilenabstand und geringere Buchstabenhöhe erreicht worden. Das beeinträchtige zwar den Gesamteindruck, wirke sich aber nicht auf die Frage nach der Schreiberhand aus (318). Gerade an den Protokollzeilen der Vergleichshandschrift zeige sich die „Einheit der Hand … besonders evident“ (320). Weiter erklären sich für Beumann viele der gut beobachteten Einzelheiten in den Kontexten der DD „… am besten als individuelle Schreibergewohnheiten …“ (318) „… im Verein mit einer beacht­lichen Variationsbreite der Hand…“ (319). So vermochte Beumann auch an Auffälligem nichts Anstößiges zu finden.

Beumann gab seiner Arbeit zwei Fotoseiten bei4. Vier Ausschnitte zeigen die Urkundanfänge samt Chrismen der Vergleichsstücke DD 183, 184, 186 und 243, drei andere die Anfänge der Rekognitionszeilen wie auch der der Datazeilen der DD 183, 186 und 2435. Diese Fotos kann man sich mit Beumann-Ton im Ohr ansehen. „Ohne Ton“ betrachtet führen sie wohl zum Widerspruch gegen von Sickel wie auch zu Beumann. Setzt man Echtheit einer Urkunde ihrer Kanzleigemäßheit gleich, wäre selbst einem Mitglied der Kanzlei diese Qualität nicht mehr erkennbar, wenn jedem Schreiber freigestanden hätte, die Chrismen mit Ornamenten seines augenblicklichen Beliebens zu füllen und wie ein freischaffender Künstler mit wechselnden Buchstabenformen zu experimentieren.

Darum ist die behauptete Einheit HI zu hinterfragen. Beumann lobte - HI von ihm als Schreiber vorausgesetzt - die „Einheit der Hand“ in den Langschriftzeilen der Urkunde (320). Tatsächlich lässt sich eher etwas an der Schreibqualität aussetzen als Abweichungen in der kanzleigenormten „Druckschrift“ finden. Da aber schon von Sickel lehrte, auf Worte, Wendungen und Formeln zu achten, da hinter diesen Prägungen bestimmte Notare der königlichen Kanzlei stünden, sind hier Textabweichungen in den Protokollzeilen zu erwähnen. Nach Notum sit omnibus in Christo fidelibus heißt es in DD 183 und 184 tam presentibus quam futuris, in D 186 aber scilicet presentibus et. Weitere Differenzen finden sich in den Apostrophierungen des Königs in den Signumzeilen:
D 183 (Otto) magni et invictissimi regis
D 184 (Otto) magni et deo disponente invictissimi regis
D 186 (Otto) magni et gloriosissimi regis

In der Rekognitionszeile wird Reichskanzler Willigis unterschiedlich tituliert. In den DD 183 und 184 ist er archiepiscopus et archicancellarius, in D 186 nur Erzkaplan. Diese Textvarianten wollen trotz fast gleichem Schriftduktus erklärt sein.

Zu Beginn der ersten Langschriftzeilen stehen die Chrismone. Sie gelten als vollzogen, wenn der Innenraum des -C- mit Titeln/Ornamenten gefüllt ist. Für Beumann tat das HI, der unterschiedliche (!) Zeichen in jeweils anderer (!) Anordnung verwendet habe (322):

Die FüllselIhre Ordnung in den DD
  (Übersicht)
(Beschreibung)Symbol183184186243
Ein "d"-verwandtes Zeichen=aababbcbc
Wellenlinie mit Punkten=bbabaabca
Generelles Abkürzungszeichen=cababbcab

Auch hier blieb die Frage durch Beumann unbeantwortet, wieso der angebliche HI die Chrismone vierer Urkunden durch drei unterschiedene Füllsysteme vollendete.

Das ergiebigste Feld, die HI zugeschriebenen Diplome zu vergleichen, sind deren Kontexte. In ihnen wechselt das offene mit dem geschlossenen -a-, und zwar in einem konstanten Verhältnis, wie Beumann richtig beobachtete (318)6. Zwar finden sich auch zwei Formen des -d-, aber in ungleicher Verteilung, was schon Beumann zu denken gab (319), ihn aber nicht an HI zweifeln ließ. An den Kontexten hob Beumann das „völlige homogene Kürzungssystem“ des HI hervor (319). Neben Zeichen für -que, per-, prae- und pro- notierte er auch „die bei HI relativ seltene Kürzung für die Endung -ur“ nach dem Schema „einer hochgestellten 2“ (319). Der generellen Kürzungsschleife bestätigt er „in allen Stücken den gleichen Duktus“ (319). Dennoch kann man sagen, die Zeichen in D 183 schweben dichter über den Zeilen als die in D 184, und die Kürzel in D 243 seien gedrungener, die in D 186 aber schlanker. Auch werden sie in den einzelnen Diplomen unterschiedlich häufig gebraucht. Bei etwa gleichlangen Texten finden sich in D 184 nur vier, dagegen in D 183 siebzehn und in D 243 vierzehn Zeichen. Die 55 allgemeinen Kürzungszeichen in D 186 dürften sich aber kaum alleine durch den längeren Kontext erklären lassen. Möglicherweise erwarben sich die Schreiber ihre Kürzungsgewohnheiten in der gleichen Schule, unterschieden sich aber in der Pflege des Kürzelvorrates. Nur D 183 kürzt -bus zu -b.-. In den DD 183 und 184 wird eine -us-Endung durch Verschmelzen eines -v- mit einem -s- verwandt (319). D 186 aber fällt auf durch gekürztes diximus und dicitur, das -us durch eine hochgestellte ‑9-, -ur durch Ausstrich am -t- oder durch Ausstrich am -dt-. Sicherlich durch den Text bedingt begegnet in D 186 auch eine -orum-Kürzung: sanctorum7. Auch hier ist kaum ohne eine Differenzierung in der Einheit HI zu einem befriedigenden Urteil zu kommen. Wahrscheinlich muss auch die These aufgegeben werden, es habe ein Schreiber eine Urkunde von oben an bis unten aus alleine mundiert. Sieht man auf das Wechselverhältnis der je zwei Buchstabentypen für -a- und -d-:
  D 183 D 184 D 186 D 243
-a- 35 : 30 25 : 37 85 : 34 27 : 36
-d- 25 : 0 11 : 13 61 : 1 24 : 08
so wird unverständlich, dass in den DD 184 und 243 im Kontextschlusssatz die gleiche Floskel ut infra apparet steht und DD 183 und 186 eigenes bieten, die wiederum eigene Textschlusszeichen haben, während bei zweien der Schrift DD 184 und 243 mit einem Doppelpunkt schließen, dem ein Strich nachgesetzt ist. Das lässt eher an zwei verschiedene Schreiber im Dienste eines Texters denken. Eine Urkunde entstünde somit durch Vorbereiten eines Formulars (Langschrifttextteiles), Diktat des Kontextes für einen Schreiber, dessen Kontrolle (Kontextschlusszeichen) und Vollzug (Chrismon­füllung) und Weitergabe an die Datare. Freilich löst sich dadurch nicht nur die Größe HI, sondern lösen sich auch weitere, bisher zur Kennzeichnung der Kanzleigemäßheit gebrauchte Begriffe auf, ohne dass auch nur ein einziger Abstrich an von. Sickels Urteilen über die Echtheit notwendig wäre9. Sozusagen die Summe der Echtheiten der Einzelteile macht die Kanzleigemäßheit eines Dokumentes aus.

Beumann wies zwar auf eine Reihe von Kleinigkeiten in der Datazeile hin, ging aber auf deren Eigenheiten nicht ein. Ihre Buchstabenformen rechnete er zum Vorrat des HI. So unterschied er eine mehr eckige von einer mehr runden Variante beim ‑g‑, und entdeckte ausgerechnet im D 186 noch einen dritten Typus (318), erklärte ihn aber als Faselei des Schreibers, der „lediglich den die Unterschleifenlänge zur Schleife komplet­tierenden Federstrich vergessen“ habe (319). Mit dem Stichwort von der Variationsbreite einer Schreiberhand vermochte er sogar ein aus einem „Schnecken­ornament“ herauswachsendes unziales -d- in D 251 für HI zu vereinnahmen (318). Gerade die Datazeilen aber enthalten den Sprengstoff gegen die behauptete Schreibereinheit HI. Zugleich mit den Schreiberhänden unterscheiden sich auch die Texte zu Anfang der Datazeilen in den Diplomen:
  D 183:   data...... anno incarnationis dominicae
  D 186:   datum ...anno dominicae incarnationis10

Danach gleichen sich zwar in etwa die Texte, nicht aber die Schriften. Mit diesen kurz aufgezeigten variierenden Elementen in Wort und Schrift unterscheiden sich aber die HI-Vergleichsstücke in nichts von anderen originalen Vorlagen aus der Kanzlei Ottos III.. Von dieser breiten Basis aus gesehen erweist sich etwa das aus einer Schnecke herauswachsende -d- in D 251 nicht als etwas HI-Spezifisches, weil es in vielen der Datazeilen des dritten Otto begegnet11. Gleiches gilt von den Anfangsbuchstaben des data/datum der DD 18312 und 18613. Kurz: D 186 ist diplomatisch echt, jedoch nicht von einem HI geschrieben, sondern wie alle anderen Urkunden ein Produkt der ottonischen Kanzlei, deren Mitarbeiter im Zuge der Ausfertigung längere und kürzere Abschnitte schrieben, deren Verbindlichkeit überwacht und durch nicht besonders auffällige Zeichen bestätigt wurde, ehe Handmal und Siegel folgten. Ein komplexer Vorgang.

Wie lange das Dokument brauchte, die Instanzen der Kanzlei zu durchlaufen, lässt sich aus den Mitteilungen der Datazeile ablesen. Während Otto III. als König in Frankfurt am Main residierte, wurde der Urkundinhalt ausgehandelt und am Nikolaustage 995 verbindlich niedergeschrieben: Datum VIII idus decembris. Die Ausfertigung selber aber zog sich bis über Weihnachten 995 hinaus. Mit dem 25. Dezember 995 begann das annus dominicae incarnationis dccccxcvi, an diesem Tage aber auch die Indiktion VIIII, wie auch das 13. Königsjahr Ottos III.. Auf alle Fälle aber wurde das Diplom vor dem 21. Juni 996 vollzogen, an dem der Herrscher zum Kaiser erhoben wurde, was sich sofort in den Urkunden niederschlug.

Die Schlesinger-Beumann`sche Urkundstudie zu DO III 186 ist aus doppeltem Grunde für gescheitert anzusehen. Einmal beschränkte man sich lediglich darauf, es diplomatisch, nur auf seine äußeren Merkmale hin zu untersuchen, und das auch nur im engen Rahmen der von von Sickel dem HI zugeschriebenen Originale. Zum anderen ist man nicht auf die inneren Merkmale, den Inhalt der Urkunde eingegangen, obgleich man den als echt präsentierte. Man fand für das Dokument sogar noch einen Platz im allgemeinen historischen Zusammenhang, indem man ihm eine kurzzeitige Bedeutung in den Jahren um 990/1000 einräumte. Darum verkoppelte man es mit ehrgeizigen Plänen Erzbischof Giselhers (981-1004). Man schrieb ihm zu, er habe im Rahmen eines kirchen- und ostpolitischen Konzepts den Metropolitanbereich Magdeburgs auch auf Posen und Gnesen ausdehnen wollen und sich dabei durch eine vergrößerte Diözese Meißen Hilfe im Süden versprochen.

Danach begann die Grenze dieses Bistums an der Elbquelle in Böhmen, sprang nach Westen zur Mulde, folgte nach deren Einfall der Elbe aufwärts, durchquerte die Niederlausitz und zog von Lebus die Oder hinauf bis zu deren Quelle im mährischen Gesenke. Wer mit Grenzfragen vertraut ist, muss ernstlich bezweifeln, dass man in den unruhigen Jahren um 995 eine solche lange Grenze neu habe definieren können. Eigentlich hat man schon immer an diesem Text gezweifelt. So erklärte Posse 1881 diese und Urkunden gleichen Inhalts als Fälschungen des 12. Jahrhunderts und fand Anklang bis heute. Als Schlesinger sich anschickte, seine „Kirchengeschichte Sachsens im Mittelalter“ zu schreiben14, musste er jedoch lesen, dass von Sickel 1892 im Monumentadruck der Diplome Ottos III. die Urkunde Nr. 186 diplomatisch für echt erklärte. So beugte sich Schlesinger im Blick auf die äußeren Merkmale einerseits dem Urteile des Diplomatikers von Sickel, und brachte andererseits das Kunststück zuwege, zwei wortwörtlich mit D 186 gleichlautende Texte auf das Jahr 968 weiterhin als „notorische Meißner Fälschungen“ (314) zu klassifizieren15 und per 995 dennoch diese Fassung als echt zu präsentieren, ohne diesen Zwiespalt zu erklären. Da nun aber Schlesinger und Beumann D 186 insgesamt als echt behandeln, hätte ihre Urkundstudie ehrlicherweise auch die Echtheitsfrage des Inhalts und seiner Vorurkunden erörtern müssen. Dies endlich zu leisten war eines der Hauptanliegen der vorgelegten Untersuchungen. Freilich ergibt sich aus ihnen ein anderes als das in Generationen zusammengezimmerte Geschichtsbild.

 1 Erstmals abgedruckt im Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappen­kunde 1 (1955), Seiten 132-256 (mit Bildtafeln); Wiedergedruckt in: Walter Schlesinger, Mitteldeutsche Beiträge zur Deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters, Göttingen 1961, Seiten 306-412 (mit Bildtafeln); Verweise auf Beumann im Text in Klammern.

 2 Literatur wird reichlich zitiert in den Anmerkungen.

 3 D 251 ist nur als Facsimile in einem Codex des Chronicon Gotweiensis Nr. 209 erhalten und wurde von Beumann nur am Rande verwendet. - Zitatverweise im Text.

 4 Die beiden Fotoseiten sind im Wiederabdruck zwischen die Seiten 320 und 321 eingeheftet worden, im Original zwischen den Seiten 144 und 145.

 5 D 184 hat auffälligerweise keine Datazeile, obgleich dafür eine Linie schon vorgezogen worden war.

 6 Vergleiche den nachfolgenden Text zu Anm. 8.

 7 Von Beumann nicht notiert.

 8 Vergleiche die Mischungsverhältnisse in den DD 174 A und B, Seite ... .

 9 Was Beumann nicht erwähnt ist, dass von Sickel außer auf die Schrift auch auf das Diktat, also auch auf Formeln und Wendungen achtete.

10 Wie hier sind auch sonst die Wortfolgen in den Formeln als schreibertypisch anzusehen.

11 Bei einer Durchsicht von Fotos fand sich das Schnecken -d- in den DDO III 35/987; 52, 55, 57/988; 68, 74, 77/991; 103, 104, 110/992; 128, 130, 131, 141/993; 155, 157, 158/994; 161, 162, 170, 171, 173, 174 A und B (!), 177, 178, 181/995; 229/996; 251/997. - Die Formen lassen sich noch differenzieren.

12 Ein großes -D- in DDO III 8, 10/985; 112/993; 183 (!)/995; 243/997.

13 Unziales -d- in DDO III 7/985; 36/987; 71, 74/988; 81, 87/991; 115, 118, 132, 137, 140/993; 143/994; 186 (!)/995; 248/997; 279/998.

14 Konzipiert wurde sie bald nach 1945, erschien aber im Druck erst 1962, Köln-Graz.

15 Es handelt sich um die in vorstehenden Abschnitten abgehandelte Bulle vom 2. Januar 968 und das Diplom Ottos I. vom Oktober 968. Siehe oben Seite ...